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24.03.2023

Organschaft im Umsatzsteuerrecht: BFH ruft EuGH an

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mit zwei die Organschaft betreffenden Entscheidungen zum einen seine Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung geändert und zum anderen ein neues Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gerichtet. Beide Entscheidungen sind nach Vorabentscheidung durch den EuGH ergangen.

Mit dem Urteil vom 18.01.2023 (XI R 29/22, XI R 16/18) sieht der BFH die sich aus § 2 Absatz 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) ergebende Steuerschuldnerschaft des Organträgers für die Umsätze der Organschaft entgegen früheren Zweifeln weiterhin als unionsrechtskonform an. Die vom EuGH hierfür genannten Bedingungen (Willensdurchsetzung und keine Gefahr von Steuerausfällen) würden gewährleistet, da der BFH schon bisher die Möglichkeit der Willensdurchsetzung verlangt und die Organgesellschaft nach § 73 der Abgabenordnung für die Umsatzsteuer des Organträgers haftet.

Im Hinblick auf das Kriterium der Willensdurchsetzung ändert der BFH allerdings seine Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung. Für das Bestehen einer Organschaft sei zwar weiter im Grundsatz erforderlich, dass dem Organträger die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht. Die finanzielle Eingliederung liege nunmehr aber auch dann vor, wenn der Gesellschafter zwar über nur 50 Prozent der Stimmrechte verfügt, die erforderliche Willensdurchsetzung bei der Organgesellschaft aber dadurch gesichert ist, dass er eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt.

Mit dem Beschluss vom 26.01.2023 (V R 20/22, V R 40/19) soll geklärt werden, ob an der bisherigen Annahme der Nichtsteuerbarkeit so genannte Innenumsätze weiter festzuhalten ist. Es handelt sich um das bereits zweite Vorabentscheidungsersuchen in dieser Sache, bei dem es nunmehr um eine Frage geht, die aufgrund der ersten Entscheidung des EuGH in diesem Verfahren zweifelhaft geworden ist.

Nach einer vor hundert Jahren vom Reichsfinanzhof begründeten Rechtsprechung, die später vom Gesetzgeber in das UStG übernommen wurde, unterlägen Umsätze zwischen den Mitgliedern einer Organschaft nicht der Umsatzsteuer, weil die Organgesellschaft als "unselbstständiger" Teil im Gesamtunternehmen des übergeordneten Organträgers angesehen wird. Zweifel an dieser Betrachtung ergäben sich daraus, dass der EuGH die Organgesellschaft als selbstständig ansieht und die Organschaft nach seiner Rechtsprechung nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führen darf. Letzteres könnte zu bejahen sein, wenn der die Leistung von der Organgesellschaft beziehende Organträger, wie im konkreten Streitfall, nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist.

Sollte der EuGH entscheiden, dass Innenumsätze entgegen der ständigen BFH-Rechtsprechung steuerbar sind, hätte dies weitreichende Folgen. Umsatzsteuerrechtlich diene die Organschaft als Gestaltungsinstrument für Unternehmer, die nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind (zum Beispiel Banken und Versicherungen, Unternehmer im Gesundheits- und Sozialwesen und im Bildungsbereich sowie Vermieter von Wohnungen), so der BFH. Nichtabziehbare Vorsteuerbeträge ließen sich bislang für derartige Unternehmen dadurch vermeiden, dass sie mit Dienstleistern Organschaften begründen, sodass die bezogenen Leistungen nicht steuerbar sind.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.01.2023 sowie Beschluss vom 26.01.2023, XI R 29/22 (XI R 16/18), V R 20/22 (V R 40/19)